epub

Ivan Šamiakin

Das Modemädchen

Auf diese Versammlung geriet ich durch Zufall. Der mittelgroße Klubraum war überfüllt. Eine wichtige Frage stand zur Diskussion, Ihre genaue Formulierung habe ich vergessen. Es ging wohl darum, wie die Komsomolzen bei der vorfristigen Erfüllung des Siebenjahrplanes in einer Zeit mithelfen könnten, in der sich die internationale Situation verschärfte.

Der Referent jedoch sprach von den alltäglichen Angelegenheiten seines Sowchos, vor allem darüber, dass nun die Erntezeit herankäme, die Techniker die Maschinen aber nicht in Ordnung hätten und dass die Schweine schlecht zunähmen. Er kritisierte die Arbeiter und die Betriebsleitung. Übrigens, aus irgendeinem Grunde waren weder der Direktor noch der Parteiorganisator anwesend.

Ich hatte mich verspätet und kam gerade zum zweiten Teil des Referats. Daher kann ich nicht sagen, ob das ganze Referat so war. Meiner Meinung nach war es gut, da es konkret war. Es ist durchaus möglich, dass es zu Anfang "hohe Materien" und Abgeschriebenes aus Leitartikeln enthielt.

Der Referent war ein junger Bursche mit blondem Haar und einem breiten, einfachen Gesicht. An seinen Bewegungen und daran, wie er sich beispielsweise den Schweiß von der Stirn wischte - nicht mit der flachen Hand, sondern mit dem Handrücken -, erkannte ich in ihm den Techniker. Ich täuschte mich nicht. Später erfuhr ich, es war Valodzia Kiryluk, Mechaniker der Garage und Sekretär der Komsomolorganisation.

Einen Mangel hatte sein Referat allerdings - unerwartetes Überwechseln von einem Gegenstand zum anderen. Deshalb kann ich mich auch nicht recht erinnern, worin die Logik seiner Gedanken lag, als er plötzlich von der Mode redete. Ich weiß nur noch, dass er pathetisch und zornig sprach und ganz offensichtlich übertrieb. Schließlich lief es darauf hinaus, dass er gegen Mode überhaupt war. Lange konnte ich nicht recht begreifen, worauf er anspielte, bis er dann Fakten aus dem Leben anführte.

"... und diese verfluchten Stutzermoden, Genossen, dringen nun auch bei uns ein, bei unserer Arbeiterjugend. Und wer, denkt ihr, führt sie ein?" - Valodzia machte eine bedeutsame Pause. - "Die Komsomolzen selber! Und nicht etwa die einfachen Mitglieder. Nein, die aus der Leitung! Genossen, das ist doch eine Teufelei!", rief er empört aus. "Seht nur einmal was für Frisuren die Mädchen jetzt bei uns tragen! Erst waren sie ganz normale Geschöpfe, und nun sehen sie aus wie Vogelscheuchen!"

Die Mädchen gerieten in Bewegung, ein Raunen ging durch die Reihen, dessen Sinn ich nicht gleich verstand. Empörung, ja, aber gegen wen?

Ich sah mich im Saal um und suchte nach einem Mädchenkopf, der an eine Vogelscheuche erinnert hätte. Nein, die meisten Mädchen trugen Zöpfe oder einfache Frisuren. Eine moderne Frisur - einen Bubikopf - trug nur ein einziges Mädchen. Es saß im Präsidium, hatte schwarze Haare und feine Gesichtszüge, und ihre großen, ausdrucksvollen Augen lachten schon die ganze Zeit. Bei meinem Eintreten hatte ich gedacht, sie sei eine Vertreterin der Bezirksleitung.

"Ich meine nämlich Lida", fuhr Valodzia inzwischen fort. "Ehrlich gesagt, als ich sie mit dieser Frisur zum erstenmal sah, wäre ich beinahe in Ohnmacht gefallen..."

Alle im Saal lachten, am lautesten aber das Mädchen im Präsidium. Den frisierten Kopf zurückgeworfen, lachte sie aus vollem Halse.

Valodzia, der sicherlich merkte, dass er nicht wie ein Referent gesprochen hatte, wurde wütend.

"Da gibt es gar nichts zu lachen, Genossen! Das ist kein Spaß. Das ist ein ernstes Problem. Wer seinen Kopf mit so einer Frisur verschandelt, bei dem wird's windig im Kopf. Da hat er bald kein Interesse mehr für die Arbeit. Nicht umsonst haben Lidas Kälber in der letzten Dekade nicht mehr so zugenommen wie früher".

"Das stimmt nicht, Genosse Kiryluk!" widersprach das Mädchen mit der schicken Frisur entschieden. "Meine Kälber sind die besten! Waren und bleiben es! Natürlich ist die Gewichtszunahme in den einzelnen Dekaden unterschiedlich".

Das war Lida? Ich staunte. Solange das Mädchen im Präsidium nicht reagiert hatte, war mir nicht einen Augenblick der Gedanke gekommen, sie könnte gemeint sein. Sie ist also Kälberpflegerin! Mein Interesse für die Versammlung wuchs. Natürlich hatte der Sekretär einen taktischen Fehler gemacht, als er die Mode zur Diskussion stellte, denn nun ging die Auseinandersetzung nur darum.

Ein Mädchen mit semmelblondem Zopf wie bei einem Märchengeschöpf verteidigte Lida und versuchte mit heftigen Worten nachzuweisen, dass Lida eine solche Frisur gut stehe und dass Valodzia mit seinem Modehass nicht im Recht sei.

"Bilde dir nur nicht ein, wir könnten nur von deinen Lektionen und Referaten leben", sagte sie unter dem Beifall der Mädchen. "Und Wollröcke ziehen wir nun mal nicht an!" Dann schlug sie vor, die Komsomolleitung müsste Aksana zu einem guten Nähkursus schicken. "Soll sie dort lernen, moderne Sachen zu nähen. Damit wir nicht nach Minsk zu fahren brauchen und uns dort anstellen müssen. Unsere Mädchen vertrödeln dabei immer viel Zeit!"

Ein junger Bursche mit rotem Hemd fuhr ihr über den Mund.

"Deine Zöpfe lässt du dir nicht abschneiden, aber andere hetzt du auf".

"Mir stehen Zöpfe besser".

"Besser! Du darfst hier schöne Kleider und Stutzerfrisuren nicht durcheinanderbringen. Was sind denn diese Stutzer? Eiternde Geschwüre am Körper der Gesellschaft. Das sind sie!"

Und dann ging's Schlag auf Schlag. Immer mehr polemisches Hin und Her. Für den "ungebetenen" Gast endete es unerwartet. Jemand von den jungen Burschen hatte mich erkannt und bat darum, ich solle als Schriftsteller sprechen.

Der heiße Schweiß, der mir im schwülen Klubraum ausgebrochen war, wurde sogleich kalt. Die unverhoffte Aufforderung brachte mich in eine schwierigere Lage, als hätte ich beispielsweise zu einem schlechten Roman eines Kollegen und Freundes sprechen sollen, bei dem ich oft Tee trank.

Was sollte ich dazu sagen?

Ich war schon mehrfach gegen diese windigen Gestalten aufgetreten, die abends die Hauptstraße bevölkerten und ihre supermodernen Sachen und Frisuren wie Marktschreier zur Schau stellten. Figuren mit solchen Kleidern und Frisuren wurden von Leuten mit Humor immer treffend als "Mamas Dummerchen" und "Komm zu mir in die Höhle" bezeichnet. Aber dieses nette Mädchen da im Präsidium, das so ausdrucksvoll mit ihren schwarzen Augen lachte, das wollte ich verteidigen und rechtfertigen. So begann ich davon zu reden, dass das Wesen eines Menschen, sein Wert nicht dadurch bestimmt werden, was er für Hosen, Kleider oder Frisuren trägt (vorausgesetzt, die Abweichung von der Mode ist nicht absurd und verletzt den Anstand), sondern durch den Platz des Menschen in der Gesellschaft, durch seine Arbeit zum Nutzen aller.

Ich weiß noch, als ich meine Rede beendet hatte, klatschten die Mädchen zustimmend, die Burschen jedoch träge und kühl, mehr so aus Höflichkeit.

Am anderen Tag wollte ich Lida gern bei der Arbeit sehen. Ich suchte den Kälberstall auf. Aber im Sommer sind die Kälber draußen auf der Weide, und so fand ich sie am Fluss in einem jungen Kiefernwald. Dort waren sie vor brütender Sonne und Fliegen geschützt, dort wurden sie auch getränkt. Das Wasser für die Tiere kam in Wassertonnen und Blechkannen. Offensichtlich erhielten die einzelnen Tiere unterschiedliches Wasser.

Ich erkannte Lida sofort, denn die große Kälberherde hatte nur zwei Pflegerinnen. Lida stand inmitten der jüngsten Kälber. Einen Augenblick beobachtete ich sie verstohlen.

Jetzt sah sie normal und alltäglich aus. Ein verschlissener blauer Kittel lag eng um ihre schmale Gestalt, ein weißes Tuch verdeckte die modische Frisur, und nur auf der rechten Stirnseite zwängte sich eine glattfrisierte Haarsträhne durch. Lida gab einem recht wohlgenährten Öchsleein die Flasche. Die anderen Kälber umringten sie, berührten mit den nassen Schnauzen ihre Schulter, ihren Rücken und sogar ihre Wange. Mit zärtlichen Handbewegungen scheuchte sie die Tiere fort. Das Öchsleein half ihr dabei. Kam einer seiner Freunde heran, schlug es eigenwillig mit dem einen Fuß aus. Das war lustig anzusehen, da es an dem einen Fuß einen verbandähnlichen weißen Streifen hatte.

Ein anderes Öchsleein verriet mich dann. Es fing an zu brüllen und Erde aufzuwühlen. AIs Lida hochblickte, wurde sie verlegen, jagte den kleinen Aggressor fort und grüßte. Ich fragte sie, warum er die Flasche bekäme.

"Er war krank, hatte Geschwüre auf der Zunge".

"Sieht gar nicht so krank aus. Hat der sich erst an die Flasche gewöhnt, so will er's nicht mehr lassen".

"Doch, doch!", entgegnete Lida überzeugt und lachte zufrieden.

Dann fragte ich sie, wieviel Kälber sie beaufsichtige, wie sie zunähmen, wieviel eine Pflegerin verdiene und noch einiges mehr. Gewöhnlich stellen alle Korrespondenten solche Fragen, und man hat sich in den Kolchosen und Sowchosen daran gewöhnt. Jedes Kind in einem guten Kolchos kann schon im voraus sagen, wonach die Korrespondenten fragen. Ich spürte, dass meine Fragen schablonenhaft waren, aber als Gesprächsanfang fiel mir nichts Besseres ein.

Lida antwortete willig und ausführlich.

Als sie die Kälber getränkt hatte, trat sie beiseite und rückte ihr Tuch zurecht, schließlich fragte ich sie: "Sagen Sie, Lida, warum tragen Sie Ihre Haare so?"

"Das ist bequemer", entgegnete sie unbekümmert. "Die Zöpfe waren mir dauernd im Wege, und dann das lange Flechten". Nach einigem Schweigen fügte sie vertrauensvoll hinzu: "Außerdem unserem Sekretär, dem Valodzia, zum Trotz. Er ist ein ganz Genauer".

Ach so! Jetzt scheint sich die Sache zu klären, überlegte ich und fragte sie nach einer Pause so nebenbei: "Ist er nicht verheiratet, der Valodzia?"

"Nein", erwiderte Lida. Sie sah mich an und wurde rot.

Wir hatten einander verstanden.

 

1960



Пераклад: Hans-Joachim Grimm
Крыніца: Belarussische Erzählungen. Minsk, Bellitfond Verlag, 2000.